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Informationen des Außenministers über die Aufgaben der polnischen Außenpolitik im Jahr 2023

13.04.2023

Sejm der Republik Polen, 13.04.2023

Min Rau

[...]

Einer unserer wichtigsten Verbündeten und politischen Partner ist die Bundesrepublik Deutschland. Die letzten drei Jahrzehnte verdienen es zweifellos, in der Geschichte unserer immerhin seit über tausend Jahren bestehenden Beziehungen als einzigartig bezeichnet zu werden.

 

Wir sind dabei, uns im Rahmen der Europäischen Union zu integrieren. Wir führen einen politischen Dialog im Format des Weimarer Dreiecks. Wir sind Verbündete in der Nato – vor mehr als zwanzig Jahren hat Polen von Deutschland die Verantwortung für die Sicherheit an der Ostflanke des Bündnisses übernommen. Jahr für Jahr werden neue Rekorde in unseren Handelsbeziehungen aufgestellt.

 

Ich könnte meine Rede über die gegenseitigen Beziehungen mit dieser Feststellung abschließen und erklären, dass wir uns bemühen werden, alle positiven Trends und Errungenschaften der letzten drei Jahrzehnte zu verstärken. Wegen der Besonderheit des deutsch-polnischen Verhältnisses, seiner Geschichte und seiner Bedeutung für die Zukunft Europas und gar für die internationale Ordnung bedarf es an dieser Stelle detaillierter Ausführungen.

 

Ein großer Teil der Normen des geltenden Völkerrechts entstand im Zusammenhang mit oder unter dem Einfluss der deutschen Politik, die Polen – das Land und seine Menschen – in besonderer Weise erlebt hatten. Deshalb ist es unsere Pflicht, danach zu streben, den deutsch-polnischen Beziehungen eine Gestalt zu geben, die für internationale Beziehungen als musterhaft gelten könnte.

 

Was sollte also getan werden, um eine solche Musterhaftigkeit zu erreichen? Drei Punkte sind hier von grundlegender Bedeutung.

 

Erstens stimmen wir mit Bundeskanzler Olaf Scholz überein, dass die russische Aggression gegen die Ukraine ein beschämendes Ereignis und ein Wendepunkt in der europäischen Geschichte ist. Wir teilen seine Auffassung, dass in Europa nichts mehr so sein wird, wie es einmal war, und dass sich deshalb die europäische Sicherheitsarchitektur und die Verteidigungspolitik der Verbündeten ändern müssen, um der Ukraine wirksam zu helfen und ein Übergreifen des Konflikts auf den gesamten Kontinent zu verhindern. Mit Genugtuung nahmen wir die Ankündigung einer „Zeitenwende“ in der deutschen Politik zur Kenntnis: eines epochalen Wandels.

Eine solche Wende forderten wir von unseren deutschen Partnern seit Jahren.

 

Wir begrüßen daher, dass die deutsche Politik ihre Fehler und das endgültige Scheitern ihrer bisherigen, seit Willy Brandt im Wesentlichen ununterbrochen betriebenen Politik der Annäherung an die Sowjetunion und später an Russland eingesteht.

 

Wir forderten die Abkehr von einer Politik des Wegschauens gegenüber dem von Jahr zu Jahr aggressiver werdenden Charakter der russischen Politik. Wir wiesen auf die direkte Bedrohung des Friedens in Europa durch den Bau der Nord Stream Gaspipeline hin. Der Bau von Nord Stream 1 wurde trotz der russischen Aggression gegen Georgien im Jahr 2008 fortgesetzt, mit voller Unterstützung der deutschen Regierung, die Russland damals als eine Art Belohnung eine „Partnerschaft für Modernisierung“ anbot.

 

Der Bau von Nord Stream 2 wurde von Deutschland ein Jahr nach dem russischen Überfall auf die Ukraine, der Annexion der Krim und der Besetzung der Donbass-Region angegangen, als Russland bereits mit EU-Sanktionen belegt war.

 

Unsere Warnungen wurden von der deutschen Regierung missachtet, der Zusammenarbeit mit Russland und den daraus resultierenden wirtschaftlichen Vorteilen Vorrang vor der Verteidigung des Friedens in Europa und der Sicherheit ihrer Verbündeten und Partner, darunter Polens und der übrigen mittel- und osteuropäischen Länder, gegeben.

 

Deshalb erwarten wir heute, dass unsere Sicherheit und unsere Interessen in der deutschen Politik Vorrang haben. Eine solche deutsche Politik ist möglich. Eine solche deutsche Politik ist notwendig. Auf eine solche deutsche Politik – gestützt auf Empathie gegenüber Interessen der eigenen Verbündeten – warten wir.

 

Der erste wichtige Schritt einer solchen Politik wäre eine Änderung der deutschen Position gegenüber der Nato-Russland-Grundakte, die Beschränkungen für die Stationierung von "bedeutenden militärischen Kräften" der Nato an der Ostflanke des Bündnisses vorsieht. Trotz der russischen Aggression auf der Krim und der heutigen Bombardierungen Kiews wurde sie von der deutschen Regierung bislang verteidigt. Niemand würde eine Änderung der deutschen Politik in dieser Frage freudiger begrüßen als Polen, als die Länder an der Ostflanke der Nato und insbesondere als die Ukraine. Ich sage zu, dass wir die deutsche Initiative unterstützen werden, dieses Dokument in die Vergessenheit zu verbannen.

 

Zweitens begründeten die Vertreter der obersten deutschen Behörden die vorrangige Behandlung Russlands in der deutschen Außenpolitik gegenüber Mittel- und Osteuropa immer wieder mit dem Bestreben, das Unrecht wiedergutzumachen und Moskau für den Überfall des deutschen Reiches auf die Sowjetunion im Jahre 1941 zu entschädigen.

 

Auch der Bau der Nord Stream-Pipeline wurde damit gerechtfertigt. Bei allem Respekt vor den moralischen Beweggründen der deutschen Politik und der Anerkennung der Notwendigkeit, Wiedergutmachung für die von Deutschland während des Zweiten Weltkriegs verursachten Schäden zu leisten, muss gesagt werden, dass die Glaubwürdigkeit dieser Beweggründe auf einem gleichberechtigten Umgang mit allen Opfern und allen verursachten Schäden beruht, unabhängig von Religion, Nationalität, Herkunft und Staatsangehörigkeit. Deutschland schuldet Polen, den Polinnen und den Polen, oder etwa den Ukrainerinnen und den Ukrainern, nicht weniger als den Russinnen und Russen.

 

Diese Schuld Deutschlands gegenüber Polen ist leider immer noch unbeglichen. Dieser Umstand belastet unsere gegenseitigen Beziehungen dramatisch. Ein Beweis dafür sind die wiederholten Beschlüsse unseres Parlaments, in denen eine Lösung der fehlenden deutschen Entschädigungen für polnische Verluste gefordert wird, die durch den deutschen Angriff und die deutsche Besetzung in den Jahren 1939-1945 erlitten wurden.

 

Gemäß dem Willen des Sejms, der in dem Beschluss vom 14. September 2022 seinen Ausdruck fand, forderten wir Anfang Oktober die deutsche Regierung offiziell auf, Gespräche über die „eindeutige Übernahme der politischen, historischen, rechtlichen und finanziellen Verantwortung“ für alle Verluste und Schäden, die Polen und seinen Staatsangehörigen durch den vom Dritten Reich entfesselten Zweiten Weltkrieg entstanden sind, aufzunehmen und diese Angelegenheit vertraglich zu regeln.

 

Anfang Januar erhielten wir eine offizielle Antwort, in der die Regierung der Bundesrepublik erklärte, sie sei an Gesprächen zu diesem Thema nicht interessiert, denn sie halte die Frage der Entschädigungen für die Folgen des deutschen bewaffneten Angriffs auf Polen für abgeschlossen und geregelt.

 

Es gibt also eine Meinungsverschiedenheit in dieser Frage zwischen Polen als Opfer des deutschen Angriffs und Deutschland als Aggressor und Verursacher von Schäden und Leid. Das Problem besteht, und wir werden uns konsequent um seine Lösung bemühen. Denn es gibt weder eine moralische noch eine Rechtsordnung, in der über die moralische oder materielle Verantwortung gegenüber dem Opfer eines Verbrechens allein der Täter, also der Aggressor, entscheiden würde.

 

Wir werden unsere deutschen Partner zu überzeugen suchen, dass es sowohl in unserem gegenseitigen Interesse als auch im globalen Interesse der internationalen Gemeinschaft liegt, das Problem der fehlenden deutschen Reparationen für Polen und seine Staatsangehörigen zu lösen.

 

Unser Ziel ist es ja, ein System zu schaffen, in dem es unrentabel ist, Kriege zu beginnen, und in dem der Aggressor immer für die verursachten Schäden und Verluste aufkommen muss. Das ist es, was wir von Russland in Bezug auf die Ukraine verlangen werden. Dasselbe muss auch für die Beziehungen zwischen Deutschland und Polen gelten.

 

Drittens möchte ich Ihnen, werte Abgeordnete, unsere Haltung zu Deutschlands Führungsanspruch in Europa etwas umfassender erläutern.

 

Wie ich bereits sagte, werden wir die angekündigte Wende in der deutschen Politik, diesen epochalen Wandel, aufmerksam verfolgen. Wir hoffen, dass er auch eine Abkehr von der bisherigen deutschen Praxis bedeutet, die Vorteile der EU-Integration für sich zu beanspruchen, während ihre Kosten und die Folgen deutscher Fehlentscheidungen bereitwillig mit anderen EU-Mitgliedern geteilt werden.

 

Nicht zuletzt wegen dieser früheren Praxis Deutschlands besteht in Europa kein großes Interesse daran, der Bundesrepublik die Führung anzuvertrauen. Wir sind uns daher sicher, dass Europa weder eine deutsche Führung braucht noch die Gleichberechtigung der Mitgliedstaaten in grundlegenden Fragen ihrer Souveränität durch eine Ausweitung der Mehrheitsentscheidungsmethode auf EU-Ebene einschränken muss. Es ist bezeichnend, dass Deutschland nicht die gleiche „Straffung“ der Entscheidungsfindung im Nordatlantischen Bündnis vorschlägt, wo es für die Einstimmigkeit eintritt.

 

Deutschland ist und bleibt unser Verbündeter und ein wichtiger politischer Partner, aber wir werden uns um eine Form unserer bilateralen Beziehungen bemühen, in der das Konzept der Partnerschaft von beiden Seiten gleichermaßen als eine Beziehung zweier gleichberechtigter Akteure verstanden wird. Wir werden daher unsere deutschen Partner ermutigen, einen historischen Wandel in ihrer Politik auch gegenüber Polen und seinen Interessen zu vollziehen. Wir glauben, dass ein solcher Wandel im Interesse beider Länder und Europas als Ganzes liegt.

 

Quelle: https://www.gov.pl/web/dyplomacja/informacja-ministra-spraw-zagranicznych-o-zadaniach-polskiej-polityki-zagranicznej-w-2023-r 

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